Pfingstmontag, morgens um 5.30 Uhr. Die Katze will hinaus gelassen werden.
Und wie gewöhnlich gehört dazu auch ein prüfender Blick aus dem Fenster, um
nach dem Wetter zu sehen. Schließlich lechzt die geplagte Segelfliegerseele
nach einem endlich wieder einmal guten Thermiktag. Ganz schlecht sieht es
nicht aus, die letzten am Himmel hängenden Wolken sind eher schmächtig und
werden der Sonne nicht viel Widerstand entgegen setzen. Das Wochenende hatte
am Samstag ja total verregnet angefangen und am Sonntag reichte der
wolkenverhangene Himmel gerade mal zu einem Einweisungsstart mit dem neuen
DUO Turbo. Kurz nach neun wird die Segelfliegertasche mit Wasserflasche und
zwei Äpfeln bestückt und schon geht es mit dem Fahrrad zum Flugplatz. Dort
haben die Kameraden längst mit dem Aushallen der Flugzeuge begonnen. Schmidt
hat sogar Großes vor, er will mit der "Libelle" einmal rund um Stuttgart
fliegen. Da könnte man sich ja vielleicht dranhängen. Zuerst aber muss
geklärt werden, ob ein Flieger frei ist. Den letztjährigen
Lieblingsflieger, das ist der "Kestrel", hat sich schon Reinhard unter den
Nagel gerissen, der steht eben früher auf. Daraus wird also schon nichts
mehr. Aber die LS4 steht noch hinten in der Hallenecke. Die taugt auch für
große Vorhaben. Schließlich habe ich damit vor langer Zeit meinen
"Dreihunderter" geflogen und über dem Inntal war ich mit ihr schon auf
viertausend Metern Höhe. Der Discus steht auch noch daneben, aber den soll
von mir aus ein Anderer nehmen. An der Decke hängt der Astir, aber wenn Uli
kommt, dann kann damit auch kein längerer Flug geplant werden. Achim lässt
seine ASW 15 von der Decke und wir schieben sie aufs Vorfeld. Nachdem Siggi
die "Sierra Papa" draußen hat, helfen mir Gotti und Jürgen beim Aushallen
der LS4. Nachdem niemand Ansprüche auf die "Bravo Lima" (so das Rufzeichen
des Segelfliegers) erhebt und die potentiellen Kandidaten extra noch einmal
gefragt wurden, kann ich also vielleicht doch auf einen langen Flugtag
spekulieren. Mit Karl spreche ich darüber, ob man nicht vielleicht zuerst
mit dem recht kräftigen Ostwind nach Westen fliegen sollte, beispielsweise
zum Feldberg im Schwarzwald, denn am Nachmittag lässt der Wind bestimmt
nach, die Thermik wird immer besser und somit der Rückweg ein Kinderspiel.
Karl ist skeptisch. Er gehört zu den vorsichtigen Zeitgenossen. Lieber gegen
den Wind nach Osten und wenn es schwierig wird mit Rückenwind nach Hause, so
seine Theorie. Dann meint auch noch Achim, dass er den Osten ebenfalls
vorziehe und weil ich ohnehin schon immer mal nach Eichstätt wollte, ist mir
das auch recht. Die Flugzeuge werden an den Start gestellt, und der
Bergfalke startet zu seinem ersten Schulflug. Die Thermik ist noch schwach
und er ist bald wieder unten. Schmidt startet mit der "Hotel 9" als nächster
und er kommt nicht wieder. Also wird der Vorflugcheck an der "Bravo Lima"
gemacht und jetzt kehrt erst einmal Ernüchterung ein. Das Heckrad ist
absolut luftleer, so kann man nicht fliegen. Aber es ist ja erst halb elf
und der Tag ist noch jung. Die Basis ist sowieso noch fürchterlich tief und
die Wolken zeigen eine gewisse Ausbreitungstendenz. Kein Grund zur Eile. Man
könnte natürlich die Kiste wieder zurück in die Halle stellen und eine
andere nehmen, aber wäre das nett gegenüber den Kameraden? Der Gedanke wird
also sofort verworfen und dafür der Kompressor organisiert: das schwere Teil
kommt in den Kofferraum vom Escort und wird an den Startplatz gefahren.
Reinhard hilft dabei. Die Luft entweicht aus dem Rad fast so schnell wie sie
hinein gepumpt wurde! Da ist flicken angesagt! Ausgebaut ist das Rad ja
schon, denn Segelflugzeuge werden scheinbar immer so konstruiert, dass wegen
der Aerodynamik das Ventil hinter der Verkleidung steckt. Jetzt kommt also
der Kompressor wieder in den Kofferraum und das Rad wird mit zur Werkstatt
genommen. Der Schlauch hat ein Loch, Flickzeug ist in der Schublade, aber
ein Gummiflicken ist keiner drin. Vielleicht gibt es im Lager einen
Ersatzschlauch? Tatsächlich, es findet sich einer. Karl hilft mir beim
Zusammenbau und Wiedereinbau des Rades und nun kann es los gehen. Achim
steht mit der "Sieben zwo" am Start und wird auf mich warten. Udo ist mit
der ASW 20 "Foxtrott Lima" angekommen, er wird sich uns anschließen. Karl
hat sich entschieden, nach einem Passagierflug zu Sebastian auf den hinteren
Sitz der "Delta Lima" zu klettern. Als ich nach dem Windenstart in fast 400
Metern Höhe ausklinke, ist Achim nicht mehr zu sehen, aber ich finde gleich
gutes Steigen direkt über der Schanze. Die Wolken im Osten, Richtung Berneck
sehen ganz gut aus, also wird nach Osten gesteuert. Da kommt mir Achim schon
wieder entgegen. Über Westerheim geht es doch besser. Also kurbeln wir nach
oben und als sich Udo startbereit meldet, sage ich ihm, dass ein
Viermeterbart gleich an der Landeposition zu finden ist. Später merke ich,
dass mein Vario im Sollfahrtmodus arbeitet und das echte Steigen vielleicht
zweieinhalb Meter pro Sekunde beträgt. Aber das ist immer noch gut und schon
bald fliegen wir los. Wieder nach Osten, in Richtung Flugplatz Bad
Ditzenbach. Dort kreisen die Bernecker Segelflieger und wenn es kritisch
wird, kann man dort auch landen. Aber die Thermik ist verlässlich, ich
kreise und warte auf die anderen. Achim wartet noch auf Udo und mittlerweile
hat sich Sepp vom Berneck mit der "Sieben Whisky" zu ihm gesellt. Wir
wechseln die Frequenz und schalten um auf die
"Segelflieger-Quasselfrequenz". Im Funk geht es recht lebhaft zu, alle
anderen Segelflieger aus dem süddeutschen Raum sind scheinbar auch von der
guten Thermik überzeugt. Dabei zeigt sich, dass im Osten die Wolkenbasis
etwas tiefer liegt, dagegen die Albkante und der Schwarzwald gut geht. Der
erste Segelfliegerkollege ist gleich bei Türkheim abgesoffen und damit ist
die alte Weisheit wieder bestätigt: Wo es rauf geht, geht es auch runter!
"Ab nach Westen", meint Achim und wir ziehen gemeinsam los. Wir, das sind
jetzt vier Segelflugzeuge: die "Sieben Whisky" mit Sepp, die "Sieben Zwo"
mit Achim, die "Fox Lima" mit Udo und ich mit der "Bravo Lima". Die Basis
ist zwar mit achtzehnhundert Metern NN nicht gerade hoch, aber unter den
Wolken geht es rasant vorwärts. Abflug in Laichingen war etwa um 13.15 Uhr
und eine Stunde später sind wir schon bei Donaueschingen. Nicht ganz einfach
ist es, so direkt unter den Wolken den Kontakt zueinander zu behalten, doch
wir bleiben letztlich immer zusammen. Besonders gut ist in der Luft Achims
ASW 15 durch ihr spezielles Flugbild zu erkennen. Von Schmidt hören wir,
dass er bereits den Nordschwarzwald erreicht hat und scheinbar also auch gut
voran kommt. Ab und zu ist tief unten auf einer Wiese ein geparktes Segelflug
zu sehen, aber wir fühlen uns wie die Könige und sind bis jetzt noch nicht
in Schwierigkeiten gekommen. Bei Albstadt, in einem gigantischen Bart mit
mindestens einem Dutzend anderer Flieger zusammen, kommen auch noch
Sebastian und Karl mit der "Delta Lima" zu unserer Gruppe. Weiter südlich
kommen an ihren bunten Schirmen die Fallschirmspringer herunter und
westlich, am Klippeneck, herrscht lebhafter Segelflugbetrieb. Wir fliegen
jetzt mehr in südlicher Richtung weiter. Der Bodensee ist links vorne zum
Greifen nahe, geradeaus ragen die Vulkankegel des Hegau aus der Ebene und
rechts unter uns liegt der Flugplatz Donaueschingen. Noch weiter rechts, im
Westen, breitet sich der Schwarzwald aus und dahinter ist auch die
Oberrheinebene zu erkennen. Die Wolken werden weniger, aber dafür wird die
Höhe etwas besser. Es geht jetzt schon bis auf fast zweitausend Meter. Da
sagt plötzlich einer im Funk: "Leute, so langsam sollten wir uns
entscheiden, wir wollen schließlich nicht in die Schweiz!" Entscheiden heißt
jetzt: entweder am Bodensee entlang zurück nach Oberschwaben oder nach
Westen, in den Schwarzwald. Da wollte ich doch hin, also sage ich das den
anderen über Funk. Udo redet gar nicht lange, er biegt gleich rechts ab.
Alle folgen. Damit ist die Entscheidung für den Feldberg gefallen und wir
nehmen Kurs nach Westen. Mein mechanisches Vario hängt schon seit längerem
am oberen Anschlag, aber als ich dagegen klopfe, besinnt es sich wieder auf
seine Aufgabe. Ein paar Kilometer hinter Bräunlingen, gleich nördlich von
der riesigen Talbrückenbaustelle bei Döggingen, finden sich wieder jede
Menge "Kollegen" mit ihren Kunststofforchideen ein. "Sierra 1" und "Sierra
2", die wir im Funk schon lange hören, sind auch mit dabei. Gerade als wir
abdrehen, um weiter zu fliegen, sticht Sierra 1 recht knapp unter mir durch.
Links unten ist ein Segelflugzeug winzig klein und es fliegt noch ein paar
Sekunden, dann zieht es auf einem hellbraunen Acker eine kleine Staubfahne
hinter sich her. Wir sind froh über unsere Höhe. Über dem Titisee kreisen
wir wieder ein und überlegen, ob wir zum Feldberg noch vollends hinüber
fliegen. An seiner Nordseite liegt noch eine ganze Menge Schnee und wir
können der Verlockung einfach nicht widerstehen. Querab vom Schluchsee geht
es noch einmal hinauf. Weit zum Feldberg ist es nicht mehr, die Basis ist
jetzt bei 2200 Metern und schon hat sich der Duo Discus auf den Weg gemacht.
Udo und ich brauchen noch ein paar Kreise und als wir uns dem Gipfel des
Feldbergs nähern, sind Sebastian und Karl schon wieder auf Gegenkurs. Wir
umrunden den Gipfel und steigen über dem Schluchsee wieder in den Bart von
vorhin ein. Tief unten hängt ein Kollege und arbeitet sich ganz langsam nach
oben. Hier möchte ich nicht außenlanden müssen! Wir fliegen nach Osten.
Sierra 1 und 2 reden von St. Blasien und die "Delta Lima" meldet sich über
Blumberg. Blumberg können wir von weitem auch schon sehen, von der
Nordwestseite leuchtet ein Rapsfeld herauf. Südlich von Blumberg sind die
Kurven der Sauschwänzlesbahn leicht zu erkennen. Bei mir klappt es mit dem
Kurbeln nicht mehr so richtig, irgendwie lässt die Konzentration nach. Udo
war schon ein Stück voraus, aber er dreht um und holt mich beim Zementwerk
Geisingen wieder ab. Die maximale Höhe ist jetzt nur noch bei 1700, 1800
Metern und bei Aalen reden sie im Funk von Blauthermik und schlechten
Steigwerten. Sierra 1 und 2 zeigen einander sämtliche Sehenswürdigkeiten vom
Flugplatz Neuhausen ob Eck bis Leibertingen und gehen irgendwann auf ihre
Heimatfrequenz. Wir fliegen weiter über Tuttlingen, das Donautal entlang und
hören von Karl, dass es immer schwieriger wird. Hinter Zwiefalten kommen wir
nur noch auf 1500 Meter, aber bis Münsingen müsste es auf jeden Fall
reichen. Der Duo mit Karl und Sebastian landet zu Hause in Laichingen und
wir suchen weiter nach Steigen. Gestern habe ich noch die Einweisung für den
Turbo-Duo gemacht, aber nicht geahnt, dass jetzt fünf Minuten Motorlaufzeit
so nützlich sein könnten. Jedenfalls müssen wir bald die Frequenz vom
Eisberg rasten und ich lande um 17.50 Uhr noch vor Udo bei den Münsinger
Kameraden. Von Schmidt hören wir später, dass seine Umrundung von Stuttgart
bis auf den Messelberg gereicht hat, aber dann war auch ein Zwischenstopp
nötig. Eine Viertelstunde später hänge ich schon hinter der Jodel und klinke
nach wenigen Minuten aus. Direkt über Laichingen kurble ich noch einmal
hundert Meter dazu, aber dann melde ich mich doch im heimatlichen Funk:
"Bravo Lima, Gegenanflug 07, Fahrwerk ausgefahren und verriegelt!". Mit
dieser Landung geht ein wunderschöner Flugtag zu Ende.
Alfred Schosser